Jesus war auch nur ein Mann
Gemälde mit Geheimbotschaft:
Laut Dan Brown hat Leonardo da Vinci in seinem "Abendmahl" eine
brisante Aussage verschlüsselt
Ein Mord im Louvre, geheime Sekten, ein historisches Komplott und der
Heilige Gral: Mit einem ketzerischen Krimi verärgert Bestseller-Autor Dan Brown
die Kirche und begeisterte in den USA sechs Millionen Leser. Nun erscheint sein
haarsträubend spannender Roman Sakrileg auch bei uns
Auf Seite 342, gut halbwegs
bei der Jagd nach dem Heiligen Gral, gehen die beiden Oberjäger, der skurrile,
also britische, Geschichtsgelehrte Teabing und der
allwissende, also amerikanische, Harvard-Professor Langdon, in die Vollen.
"Christus und Maria Magdalena müssen ein Kind gehabt haben", sagt
Langdon lächelnd zur charmanten Französin Sophie, der Dritten im Bunde, die wie
vom Donner gerührt dasteht. "Die größte Verschleierungsaktion in der
Geschichte der Menschheit", sekundiert Teabing
dem Kollegen, "Jesus Christus war nicht nur verheiratet, er war auch
Vater."
Die Person im blauen Kleid
neben Jesus sei nicht Johannes, der jüngste der Apostel, sondern Maria
Magdalena, mit der Christus sogar ein Kind gehabt habe, so Dan Brown in
Sakrileg. Tatsächlich zeigt das Gesicht des Johannes aus der Nähe betrachtet
ausgesprochen weibliche Züge - seit dem Abschluss der Restaurierung von
Leonardos berühmten Fresko im Mailänder Kloster Santa Maria delle Grazie im
Jahr 1999 sind sie deutlicher zu erkennen als zuvor. Außerdem bilde die rechte
Seite des Heilands mit der linken Seite des Johannes, der eigentlich Maria Magdalena
sein solle, das Zeichen V, ein uraltes
Symbol für den weiblichen Schoß. Auch dies nach Brown ein verschlüsselter Hinweis darauf, dass Leonardo an
den Wächtern der Inquisition vorbei die Botschaft schmuggeln wollte, Jesus
Christus sei nicht nur ein sterblicher Mensch, sondern auch mit Maria Magdalena
verheiratet gewesen. Unerklärlich bleibt bis heute, wem die überzählige Hand
mit dem Messer gehört, die zwischen der dritten und vierten Figur von links
hervorsteht. Sie ist keinem der Apostel zuzuordnen
Jesus Menschenvater, nicht Christus Gottessohn? Und
dann auch noch der Gatte von Maria Magdalena, der reuigen Hure des Neuen
Testaments? Ganz schön heftig, was der Amerikaner Dan Brown in seinem neuen
Thriller Sakrileg seinen Lesern und der katholischen Kirche zumutet. Erstere sind
von Browns These entzückt, in den USA hat sich das Buch bisher fast sechs
Millionen Mal verkauft, nun kommt es auch in Deutschland höchst bestseller-verdächtig
auf den Markt. Vordergründig geht es im Sakrileg, das in den USA unter dem
Titel The Da Vinci Code lief, um die Aufklärung eines
Mordes. Der Kurator des Louvre wird in seinem Blute liegend aufgefunden. Doch
auf der Suche nach Täter und Tatmotiv dringen die Helden in die Abgründe der
Kirchengeschichte vor. Sie werden mit der obskuren Welt der katholischen
Geheimorganisation Opus Dei konfrontiert. Sie setzen sich mit Leonardo da
Vincis rätselhafter Bildersprache, Aufstieg und Untergang des Templerordens
auseinander und landen schließlich bei Maria Magdalena als Gattin von Jesus
Christus. Die Kirche, so Dan Brown, sei selbst schuld, wenn er jetzt Christus
mit schwerem Geschütz vom Himmel holen muss. Habe sie doch vor nunmehr fast
1700 Jahren aus Jesus von Nazareth, einem "sterblichen Menschen", den
Sohn Gottes gemacht.
Laut
Brown war ihr Werkzeug Konstantin der Große. Dieser erste prochristliche
römische Kaiser rief 325 das Konzil von Nicäa ein und ließ die versammelten Bischöfe per Abstimmung
die Göttlichkeit von Jesus beschließen, obwohl, wie Teabing
im Roman doz-iert, "Tausende von Niederschriften
existierten, in denen Jesus als normaler Sterblicher geschildert wird".
Dann habe der Kaiser die Quellen über das Leben Jesu bereinigen lassen:
Konstantin gab eine neue Evangeliensammlung in Auftrag, die er obendrein
finanzierte. In diese Sammlung durfte keine jener Darstellungen aufgenommen
werden, in denen Jesus als Mensch gesehen wurde, während alles, was ihn in ein
göttliches Licht rückte, besonders hervorzuheben war. Die früheren Evangelien wurden
geächtet, konfisziert, verbrannt.
Was übrig blieb, waren die vier heute für alle christlichen Kirchen allein
gültigen Berichte von Markus, Matthäus, Lukas und Johannes. Konstantin hatte
eine Staatsreligion. Aber deren Oberhaupt Jesus Christus war keine Konkurrenz
für seine absolute Herrschaft: Ist doch das Reich des Gottessohnes ausdrücklich
nicht von dieser Welt.
Doch wie bei Asterix ein kleines, tapferes Dorf in Gallien der Allmacht Cäsars trotzt, so gibt in Browns Sakrileg eine auserwählte
Schar aufrechter, wissender Menschen die unterdrückte Wahrheit über den
irdischen Jesus und seine Maria Magdalena von Generation zu Generation im
Geheimen weiter bis in unsere Tage. Das ruft, wie anders, finstere Mächte auf
den Plan, die auch nicht vor Mord zurückschrecken.
Wie es sich für gefährliches
Geheimwissen gehört, haben seine Hüter es verschlüsselt und versteckt,
verkleidet und vergraben. Es bedarf daher dreier eminenter Geister, Langdon, Teabing, Sophie, um nach einer kabbalistischen
Schnitzeljagd durch halb Frankreich und Großbritannien sowie durch die
esoterischen Lehren der Antike und des Mittelalters endlich die Wahrheit ans
Licht zu bringen.
Waren Jesus und Maria
Magdalena ein Paar? In seinem Roman spielt Autor Dan Brown ausführlich mit
dieser Vorstellung ("Die Erscheinung Christi vor Maria Magdalena" von
Alexander A. Iwanow, 1835)
Weint sie um den Liebhaber? "Trauer
der Maria Magdalena an der Leiche Christi", Arnold Böcklin, 1867
Der Autor dieses Religions-Krimis, der
schon mit seinem Geheimbund-Thriller "Illuminati"
fast ein Jahr lang in der Stern-Bestseller-Liste war, sieht gar nicht nach
einem Liebhaber unsichtbarer Tinten, prähistorischer Fruchtbarkeitsrituale oder
raunender Zahlenmystik aus. Dan Brown läuft oft und
gern Schlittschuh, hat beim Tennis Probleme mit der Rückhand und schreibt nicht
zur Geisterstunde, sondern am liebsten am frühen Morgen ab fünf Uhr. Dazu
fährt der 37-Jährige von seinem Haus an der Küste von New England zehn Meilen
zu einer nüchternen Dichterklause im Nachbarort. Kein Telefon, kein
E-Mail-Anschluss, keine Ablenkung. Dafür diszipliniert sechs bis sieben Stunden
am Computer, wo ihm die Texte nicht genialisch herausrutschen, sondern Tag für
Tag mühsam erkämpft werden: "Ich schreibe für jede Seite, die gedruckt
wird, zehn andere, die ich wieder wegschmeiße."
Bereits der kleine Dan war
Rätseln und Geheimnissen zugetan. "Mein Vater ist Mathematikprofessor. Bei
uns lagen an Weihnachten die Geschenke nicht einfach unter dem Christbaum. Sie waren
versteckt. Vater verschlüsselte den Fundort in Bilder oder Zahlenrätseln, die
mussten wir knacken." Nach dem College studierte Brown zwei Jahre
Kunstgeschichte in Sevilla: "Mich faszinierte immer, wie viele
Informationen Künstler in ihren Werken versteckt weitergaben. Zur Zeit der
Renaissance etwa konnte man nicht einfach laut verkünden, was man glaubte. Sonst endete
man sehr leicht als Ketzer auf dem Scheiterhaufen." Browns historisch
durchtränkter Thriller wurde inzwischen in 40 Länder verkauft. Die New York
Times lobte ihn als anregend, geistvoll und spannend. Der Londoner Guardian
hingegen verriss das Buch als ein paar hundert Seiten von ärgerlich fesselndem
Quatsch. Und die katholische Kirche ist natürlich entrüstet. Browns Buch gibt
fälschlich vor, wissenschaftlich korrekt zu sein, und infiziert so die Leser
mit heftiger Feindseligkeit gegen die katholische Lehre, klagt die
Kirchenzeitschrift Crisis.
"Alle in diesem Roman erwähnten Dokumente sind wirklichkeits,
und wahrheitsgetreu wiedergegeben", versichert der Autor auf den ersten
Seiten von "Sakrileg". Das stimmt. Doch über die Glaubwürdigkeit der
zitierten Quellen sagt dieser Satz noch nichts aus, auch der stern hat 1983 die Hitler-Tagebücher korrekt wiedergegeben;
nur echt waren sie nicht. Und offen bleibt, wie freizügig Brown mit den wirklichkeitsgetreuen
Dokumenten umgeht. "Er hat einfach ein paar Samenkörner historischer
Wahrheit genommen und aus ihnen dann fantastische Blüten treib-en
lassen", urteilt der US-Religionshistoriker Christopher Bellitto.
Nehmen wir als Beispiel Maria Magdalena. Tatsächlich gibt es Texte aus
frühchristlicher Zeit, in denen die reuige Sünderin nicht als eine von mehreren
Frauen im Gefolge des Heilands, sondern als dessen engste Gefährtin dargestellt
wird. Diese Texte nennt man apokryphe, verborgene,
Bücher oder kurz Apokryphen. Einige dieser
Schriften wurden erst im vergangenen Jahrhundert wieder entdeckt. Der
wichtigste Fund waren 13 Pergamentrollen in einem Tonkrug, die 1945 in
Oberägypten gefunden wurden.
Diese Rollen enthielten unter anderem bis dahin unbekannte Berichte über das
Leben Jesu in koptischer Sprache und reichen mit großer Wahrscheinlichkeit bis
ins zweite Jahrhundert nach Christus zurück. In einer dieser Apokryphen, dem so genannten Philippus-Evangelium,
heißt es: Die Gefährtin Christi ist Maria, die aus Magdala. Der Herr liebte
Maria mehr als alle Jünger, und er küsste sie häufig auf den Mund. Als die
Jünger das sahen, sagten sie ihm: "Warum liebst du sie mehr als uns
alle?"" Ein anderes Textfragment spricht sogar direkt von geschlechtlicher
Vereinigung der beiden. Dan Brown leitet daraus ab,
Maria Magdalena sei die Ehefrau Christi gewesen und das Paar habe Kinder
gehabt, einfach, weil ein 30-jähriger Mann in der jüdischen Gesellschaft von
damals verheiratet zu sein und Nachwuchs zu haben hatte.
In mehreren Apokryphen wird Maria-Magdalena als bevorzugte Gesprächspartnerin
und rechte Hand von Jesus gezeichnet: Sie
stellt die meisten Fragen, sie wird vom Heiland immer wieder vor allen anderen
gelobt, sie verteilt nach seinem Tod die Missionsgebiete unter den Jüngern.
Brown: "Jesus war sozusagen der erste Feminist. Nach Aussage jener alten
unverfälschten Evangelien hat Christ-us nicht Petrus
zum Sachwalter seiner Kirche eingesetzt, sondern Maria Magdalena." Doch
nach der Lehrmeinung war und ist Petrus der Fels, auf den Jesus seine Kirche
bauen wollte. Nieder also mit Maria Magdalena! "Zur Abwehr der
nachhaltigen Bedrohung stellte die Kirche Maria Magdalena beharrlich als Dirne
dar und vernichtete sämtliche Dokumente, die sie als Gattin Christi ausweisen
konnten", sagt der Privatgelehrte Teabing im
Roman.
Na ja. Tatsächlich ist selbst in den vier anerkannten Evangelien nirgendwo
davon die Rede, dass Maria Magdalena eine Hure war. Dort wird nur von einer
namenlosen Sünderin gesprochen, die Jesus mit ihren Tränen die Füsse wäscht und dann mit wohlriechendem Öl salbt. Dass
diese Sünderin Maria Magdalena gewesen sein soll, geht darauf zurück, dass sie
namentlich als eine der Frauen erwähnt wird, die den Leichnam Christi nach der
Kreuzigung mit Öl einreiben. Zweimal Öl, zweimal dieselbe Person. Doch diese
Gleichsetzung blieb auch unter den frühen katholischen Kirchenlehrern jahrhundertelang umstritten. Erst rund 1000 Jahre später
setzte sie sich allgemein durch. Inzwischen hat die katholische Kirche diese Verknüpfung
1969 offiziell für irrig erklärt.
Zweites Beispiel für Browns
fantasievollen Umgang mit der Geschichte: das Konzil von Nicäa
325 nach Christus. In Sakrileg wird behauptet, dort habe man in einem
Handstreich per Abstimmung den Menschen Jesus zum Gott gemacht. Übrigens nicht
vier Jahrhunderte, wie Brown schreibt, sondern schon knapp 300 Jahre nach
Christi Tod. Historisch ist zwar belegt, dass auf diesem ersten Konzil unter
den Bischöfen erbittert um die Göttlichkeit von Jesus Christus gestritten wurde.
Doch es ging nie darum, ob er nun Mensch oder Gott sei, sondern nur darum, ob
er, der Gottessohn, auf gleicher Ebene mit Gottvater stehe oder doch etwas
darunter. Seine grundsätzliche Göttlichkeit stand aber nie infrage.
Historisch anfechtbar ist auch der
"kühne Handstreich", mit dem Kaiser Konstantin angeblich nach dem
Konzil die apokryphen Evangelien "ächten,
konfiszieren und verbrennen" und nur die von Markus, Matthäus, Lukas und
Johannes übrig ließ.
Ohne Zweifel wollte der Kaiser einen einheitlichen christlichen Glauben in
seinem riesigen, bröckelnden Reich. Doch schon lange vor seiner Regierung
hatten sich die vier heutigen Evangelien in den meisten Gemeinden ohne Ächten
und Verbrennen durchgesetzt, und noch lange nach Konstantins Tod existierten
andererseits neben diesen "kanonischen" heiligen Schriften apokryphe Geschichten über und um Jesus als populäre
Lektüre. Der Kirchenhistoriker Kurt Aland: "Es darf nicht übersehen
werden, dass man in manchen Teilen der Kirche bis ins 7. Jahr-hundert hinein
einen durch die Aufnahme von apokryphen Schriften
erweiterten Kanon besaß." Von einem "kühnen Handstreich" der
römischen Staatsmacht oder gar "der größten Verschleierungsaktion in der
Geschichte der Menschheit", wie Buchheld Teabing
tönt, kann da schwer die Rede sein.
Schwierig, schwierig, genau zu wissen,
was vor 2000 Jahren geschah, sagt Dan Brown mit seinem sympathischsten Lächeln. Vielleicht sei in Nicäa ja wirklich nicht der Mensch Jesus aus dem Neuen
Testament ausradiert worden. "Wichtig und unbestreitbar ist aber, dass dort die
Göttlichkeit Christi von einem Haufen irdischer Wesen durchdebattiert wurde.
Die Bibel ist nicht wie ein Fax direkt vom Himmel auf uns herabgekommen,
sondern vor einem politischen Hintergrund historisch entstanden. Mit meinem
Buch öffne ich beim Leser so was wie ein Tor für diese Erkenntnis."
Je weiter im Roman seine drei Helden durch dieses offene Tor der Erkenntnis in
die Familienchronik des menschelnden Jesus vordringen, umso tiefer tauchen sie
in Fantasyland ein. Sie enthüllen, dass Maria
Magdalena zur Zeit der Kreuzigung ihres Gatten schwanger war, sich nach
dessen Tod nach Frankreich ausschiffte und dort eine Tochter zur Welt brachte.
Und da Magdalena eben keine Hure, sondern vielmehr eine edle Dame königlichen Geblüts gewesen sei, habe ein paar Jahrhunderte später
ein langmähniger Merowingerkönig es für durchaus standesgemäß
angesehen, einen weiblichen Spross aus der Blutlinie Jesus/Maria Magdalena zu
ehelichen.
Zwar wurden die fränkischen Merowinger, die gern die Schädeldecke ihrer Feinde zu
Trinkschalen umarbeiteten, von den ebenfalls fränkischen und gut katholischen
Karolingern entmachtet. Doch eine Seitenlinie des Geschlechts überlebte die
Jahrhunderte bis in unsere Tage: Jesu Gene sind unter uns! Und der Heilige Gral,
dem Heerscharen mittelalterlicher Ritter erfolglos nachspürten, ist nicht der
wundertätige Kelch, den Jesus beim Letzten Abendmahl benutzte. In Wahrheit ist
der Gral nur ein Bild für den Schoß Maria Magdalenas, durch den das Erbgut, das
Blut Jesu, weitergegeben wurde.
Die bestürzende Wahrheit einer
ununterbrochenen Reihe von Jesuskindern hienieden entdecken im Sakrileg ein
paar französische Kreuzritter. Sie durchwühlen nach der Eroberung Jerusalems im
Jahr 1099 den Tempelberg Zion und finden dort, voila!, diesbezüg-liche Dokumente. Sie gründen
eine Gesellschaft, die Prieur de Sion,
die bis heute diese Dokumente bewahrt. Weil deren Inhalt die katholische Kirche
in den Ruin treiben würde, müssen die Brüder von Sion
im Geheimen wirken. Ansonsten drohen Folter und Scheiterhaufen.
Die Großmeister der Geheimsekte waren
stets Kulturriesen erster Ordnung: Leonardo da Vinci, Sandro Botticelli, Isaac
Newton, Victor Hugo, Claude Debussy bis hin zu Jean Cocteau, der heute gerade
mal 40 Jahre tot ist. Ab und an wagten sie, in ihren Werken die große geheime
Wahrheit verschlüsselt unter die Kenner zu bringen, ein gefundenes Fressen für
unsere drei akademischen Meister-Dechiffrierer im
Sakrileg. Leonardo etwa: In seinem berühmtesten Gemälde Das Abendmahl sei mit
dem tatsächlich sehr feminin aussehenden Lieblingsjünger Johannes eigentlich
Maria Magdalena gemeint. Und diese Gestalt bilde mit Jesus grafisch ein V, das uralte Zeichen für das weibliche
Geschlecht!
Woher Autor Dan Brown das alles weiß? Vor
allem aus den Dossiers Secrets, einer Sammlung
merkwürdiger Schriften und Urkunden, die irgendwann in der zweiten Hälfte des
20. Jahrhunderts in der Pariser Nationalbibliothek deponiert wurden. Bei diesen
"Geheimen Akten" handelt es sich nicht um Originaldokumente, sondern lediglich
um angebliche Auswertungen, Abschriften oder Zusammenfassungen historischer
Quellen. Fast alle stammen aus dem Umfeld von Pierre Plantard.
Dieser im Jahr 2000 verstorbene Gelegenheitsschriftsteller aus der
Esoterik-Ecke bezeichnete sich selbst als letzten Großmeister der Prieur de Sion und zwischendurch
auch als Abkömmling der Merowinger, sprich von Jesus
Christus.
Hingegen gibt es durchaus
Originaldokumente von 1953, die belegen, dass Plantard
in seiner Jugend wegen Betrugs oder Unterschlagung zu einem halben Jahr
Gefängnis verurteilt worden war. Als alter Mann gestand er 1993 unter Eid bei
der richterlichen Untersuchung des Selbstmords von Roger-Patrice Pelat, einem engen Freund von Francois Mitterand, er habe Pelat ohne dessen Wissen fälschlich auf die
Großmeister-Liste der Prieur de Sion
gesetzt. Der Richter ließ Plantard als harmlosen
Spinner laufen mit der Auflage, in Zukunft keine Mätzchen zu machen".
Monsieur Plantard
ein kleiner Schwindler? Die Dossiers Secrets ein
Machwerk? Zu Plantard möchte er sich nicht äußern,
sagt Brown. Und über die Geheimen Akten und ihren Wahrheitsgehalt solle sich
jeder Leser selbst seine Meinung bilden. "Ich habe vor drei Jahren meine
Recherchen mit höchster Skepsis begonnen. Aber heute glaube ich, dass die Geschichte
im Kern stimmt. Schauen Sie das Abendmahl genau an. Der Johannes dort ist in
Wahr-heit eine Frau und sollte es auch sein. Wenn das Genie Leonardo einen
bartlosen jungen Mann hätte malen wollen, glauben Sie, er wäre dazu nicht in
der Lage gewesen?"
Außerdem habe er, der skeptische Brown,
in Frankreich während der Recherche zwei Schlüsselerlebnisse gehabt. Sie hätten
ihn zum Gläubigen in Sachen Sion gemacht. " Keine
religiöse Erweckung. Nichts Mystisches. Sondern zwei ganz diesseitige
Zusammentreffen. Doch darüber kann und will ich jetzt nicht sprechen.
Vielleicht in einem späteren Buch." Schade.
Wenn man Browns esoterisches
Koordinatensystem akzeptiert, macht es Spaß, dem verschlungenen roten Faden bis
zur Lösung zu folgen, den seine klugen Helden so trefflich entwirren. Man
erfährt enorm viel. So lernen wir die geometrische Figur des Goldenen Schnitts,
eine der Plagen unserer Schulzeit, mit ganz neuen Augen als Göttliche
Proportion zu sehen. Wir lernen da Vincis genialische Entwürfe von
Flugmaschinen und Tauchanzügen kennen. Wir erfahren über die Lust unserer
Vorväter an der Spiegelschrift oder an Buchstabenrätseln. Da muss in der
deutschen Übersetzung allerdings das englische Original stehen bleiben: O Draconian Devil etwa wird, wenn
man die Buchstaben umgruppiert, zu Leonardo da Vinci.
Und wir tauchen tief ein in die Welt der
Gnosis, dieser Parallelreligion zum Christentum. Für Gnostiker müssen das
männliche und das weibliche Element zu einer mystischen Einheit verschmelzen.
Nur so kann der göttliche Funke im Menschen leuchten. Die Bruderschaft von Sion im Sakrileg nimmt diese heilige Einheit sehr wörtlich
und bezieht sie direkt auf die fleischliche Vereinigung von Jesus und Maria
Magdalena. Dieser heiligen Hochzeit eifert die Bruderschaft bei ihren okkulten
Treffen ab und an wacker nach. Wie genau, wird an dieser Stelle nicht verraten.
Nur so viel: Die kluge Sophie jedenfalls trägt allein vom Zuschauen einen
Schaden fürs Leben davon.
Manchmal müsse er sich kneifen, sagt Dan
Brown angesichts seines Riesenerfolgs. Er würde ja gern glauben, dass seine
Schreibkunst die Ursache sei, "doch wenn ich ehrlich bin, es ist der
Stoff.
Geheime Gesellschaften, verstecktes
Wissen, verloren gegangene Geschichte, sinistre
Verschwörungen, so etwas spricht alle Schichten an, vom Chefarzt bis zum
Klempner, von der Designerin bis zur Küchenhilfe. Nicht zu vergessen die vielen
Menschen auf Sinnsuche, enttäuscht von den Lehren der Amtskirchen. "Ich
weiß ja, dass vieles an Browns Jesusbild so nicht stimmt. Aber ich hätte gern
genau diesen Jesus, der ein Mensch ist, mit einer Frau an seiner Seite",
so ein begeisterter amerikanischer Leser, nach eigener Aussage gläubiger
Baptist.