Wie Paulus die Botschaft des Jesus von Nazareth
veränderte und die Fundamente für die spätere griechisch-römische Staatskirche
legte
Paulusporträt mit
Heiligenschein
in einer Kirche in Palermo / Sizilien.
Jesus und seine Jünger
Eigentlich
hatte Jesus von Nazareth alles gut vorbereitet: Er berief einige seiner
Nachfolger zu Aposteln und übertrug ihnen die Leitung der Urgemeinde in
Jerusalem und weiterer Gemeinden. Und von dort gingen Männer und Frauen hinaus,
um die Botschaft vom kommenden Gottesreich auch außerhalb Israels bekannt zu
machen. Das ging so lange einigermaßen gut, bis Saulus, später Paulus,
hinzukam. Mit Paulus begann die Verfälschung der Lehre von Jesus und der
allmähliche Aufbau einer kirchlichen institutionellen Struktur.
Wie Paulus die Lehre des Jesus verfälschte
Während
die Apostel noch von Jesus direkt belehrt und geschult werden, kennt Paulus
Jesus nicht. Ist Jesus bei Paulus demnach nur eine „metaphysische Figur, der
man alles unterschieben konnte“, wie es der Philosoph Friedrich Nietzsche
einmal kommentierte? Paulus zeigt kein Interesse am Leben des Jesus von
Nazareth, an dem er sich hätte als Vorbild orientieren können.
Teil 1: Der versteckte Angriff auf das frühe Urchristentum:
Wie Paulus die Lehre des Jesus veränderte
Die
ersten urchristlichen Gemeinden wurden von Christus unmittelbar durch das
Prophetische Wort geführt. Er offenbarte sich durch Prophetenmund, und nach dem
Zeugnis der Apostelgeschichte war "die Menge der Gläubigen" "ein
Herz und eine Seele" (4, 32). "Sie blieben beständig in der Lehre der
Apostel und in der Gemeinschaft und im Brotbrechen und im Gebet"
(Apostelgeschichte 2, 42), taten Gutes an ihren Nächsten "und fanden Wohlwollen
beim ganzen Volk" (Apostelgeschichte 2, 47). In dieser Zeit kam Saulus,
später Paulus genannt, hinzu und gab den ersten größeren Anlass für
Unstimmigkeiten ...
Saulus
aus Tarsus in Kleinasien (der heutigen Türkei) ist als jüdischer Pharisäer ein
erbitterter Gegner von Jesus von Nazareth und verfolgt die urchristliche
Gemeinde. In einer Vision glaubt er eines Tages, die Stimme des Mannes aus
Nazareth zu hören, und er glaubt, ihn auch zu sehen. Nach diesem Erlebnis
gelangt Paulus zu der Überzeugung, dass Jesus in der Tat der "Christus"
war, das heißt der Gesandte Gottes, der Israel verheißene Erlöser. Paulus
orientiert sich um. In Zukunft will er für ihn kämpfen, nicht mehr gegen ihn.
Doch von Anfang an ist er nicht bereit, sich in die bestehende Gemeinschaft
einzuordnen. Er betont sogar, dass er sich nach seiner Bekehrung nicht mit den
anderen Urchristen besprach (Galaterbrief 1, 16). Aus eigenem Entschluss
beginnt er mit dem Predigen. Erst nach drei Jahren besucht er für zwei Wochen
Petrus und reist anschließend wieder durch die Lande.
Schon
bald stellt sich heraus, dass Paulus die christliche Lehre mit seinen römischen
Vorstellungen vermischt, und dort, wo er bei seinen Reisen bereits
urchristliche Gruppen vorfindet, kommt es zu Unstimmigkeiten und Konflikten.
Doch Paulus lässt sich nichts sagen und sich nicht korrigieren. Im Gegenteil:
Als es erst nach 14 Jahren (!) zu ersten offiziellen Gesprächen mit allen
Verantwortlichen der urchristlichen Bewegung kommt, weist Paulus seinerseits
Petrus heftig zurecht und "widerstand ihm ins Angesicht", wie er es
in der Bibel selber schreibt (Galaterbrief 2). Der Streit mit Petrus, den
Paulus offen der Heuchelei bezichtigt, entzündet sich an den jüdischen Wurzeln
des Urchristentums und unter anderem auch an der Frage nach dem Fleischkonsum
beim urchristlichen Mahl (Näheres dazu im Teil 2). Doch die Unterschiede
zwischen Paulus einerseits und den Aposteln und Jesus von Nazareth andererseits
sind noch viel umfangreicher ..
Kein Interesse an Jesus
Während
die Apostel noch von Jesus direkt belehrt und geschult wurden, kannte Paulus
Jesus nicht. Stattdessen hatte er die pharisäische Schulung der Gegner des
Mannes aus Nazareth genossen. Doch anstatt sich so viel wie möglich von Jesus
berichten zu lassen und sich so weit wie möglich an ihm als Vorbild zu orientieren,
erklärt Paulus sein Defizit einfach als belanglos und schreibt selbstbewusst:
"Auch wenn wir Christus gekannt haben nach dem Fleisch [auf die anderen
Apostel bezogen], so kennen wir ihn doch jetzt so nicht mehr" (2.
Korintherbrief 5, 16). Doch woher will Paulus wissen, ob der
"Christus" aus seiner Vision und in seiner Vorstellung mit dem
Christus übereinstimmt, der in Jesus von Nazareth unter den Menschen lebte?
Jesus, der Christus, scheint bei Paulus nur mehr "ein bloßes Motiv"
zu sein, wie der Philosoph Friedrich Nietzsche ihm vorwirft, eine
"metaphysische Figur, der man alles unterschieben konnte".
Und
in der Tat: Anstatt zu fragen, was Jesus gelehrt hat, deutet Paulus das Leben
von Jesus nach dem Muster heidnischer Mysterienreligionen und des Kaiserkults,
wo von sterbenden und wieder auferstehenden Göttern die Rede ist, an denen der
Gläubige durch Identifikation bzw. durch magische Übungen Anteil haben könne.
Gleichermaßen knüpft er an den jüdischen Opferkult an und interpretiert ihn
neu: Während strenggläubige Juden durch Tieropfer einen angeblichen Zorn Gottes
besänftigen wollen, erklärt Paulus kurzerhand, dass das Blut, das Jesus bei
seiner Hinrichtung vergossen hatte, bei Gott angeblich ein für alle mal
sühnende Wirkung hätte (Römerbrief 3, 25), so dass es keiner Tieropfer mehr
bedürfe.
Die Umdeutung
Zwar
war auch Jesus ein Gegner der Tieropfer. Doch im Unterschied zu Paulus hatte er
einen Gott verkündet, der überhaupt kein "Sühnopfer" benötigt und nie
ein solches Opfer benötigt hatte. Stattdessen sei es der Wunsch Gottes, dass
alle Seine Kinder Ihm ihr Herz öffnen, Schritt für Schritt ihr Ego
"opfern" und für den Nächsten da sind. Paulus hingegen kehrt wieder
zu den alten vorchristlichen Gottesvorstellungen der Menschen (von Gotteszorn
und Sühnopfer) zurück und deutet diese nur auf Christus hin um. Der Höhepunkt
seiner Umdeutung besteht darin, dass man durch den bloßen Glauben an den Tod
von Jesus als Heilsereignis gerecht werden könne - also "ohne Verdienst",
d. h. ohne gute Taten. Dies war eine wesentliche Botschaft des Paulus, und es
war eine angenehme Botschaft für das Volk. Mit dem unbequemen Jesus von
Nazareth hatte sie aber nichts mehr zu tun. Denn Jesus lehrte das Halten der
Zehn Gebote und der Bergpredigt, und er sagte: "Tu das, so wirst du
leben." (Lukas 10, 27)
Paulus
legt hiermit die Fundamente für eine Volkskirche, die bald Kulthandlungen für
das von Paulus entwickelte "Heilsgeschehen" zelebrieren wird, welche
man wiederum aus dem Heidentum entlehnt. Bereits ein Paulusschüler der 1.
Generation macht Jesus, den Christus, zum "Hohenpriester" (im
Hebräerbrief der Bibel), dessen Blut "unser Gewissen reinigt", wie
zuvor angeblich "das Blut von Böcken und Stieren und die Asche von der Kuh
durch Besprengung die Unreinen heiligt" (9, 13). Bald folgen Theologen und
Schriftgelehrte als "Assistenzpriester", es gibt wieder Riten und
Zeremonien, Talare, Kanzeln und Altäre - ganz so, wie es die Leute in ihren
bisherigen Religionen gewöhnt waren. Jesus wollte aber nicht als dieser
"Hoherpriester" verstanden werden. Sonst hätte er sich auch gleich z.
B. von seinen Jüngern in diese Funktion erheben lassen können. Doch bei Jesus
und seinen Nachfolgern waren Priester und äußere Rituale überflüssig geworden,
da die Menschen damit begonnen hatten, das Reich Gottes in sich selbst zu
erschließen, und weil sie keine Höhergestellten hatten und auch keine
"Mittler" zu Gott brauchten. Die ersten Urchristen bauten die
Verbindung zu Gott in sich auf, und sie wurden von Christus unmittelbar
geführt, wenn er sich durch Prophetenmund offenbarte.
Paulus ist demgegenüber der erste Schriftgelehrte, der
in eine hauptverantwortliche Position für die Urgemeinden gelangt. Dabei hat er
seinen intellektuellen Vorsprung gegenüber den ehemaligen Fischern und
Zimmerleuten unter den Aposteln wohl geschickt genutzt. Diese sind z. B. viel
ungeübter im Disputieren und können auch anderweitig nicht verhindern, wie
Paulus sein theologisches "Wissen" als Schriftgelehrter einfließen
lässt und die christliche Lehre damit offensichtlich oder unmerklich verändert.
So lehrt er der Gemeinde in Rom auch eine Prädestination (Kapitel 9; "Gott
erwählt und verstockt, wen er will"), was wiederum nichts mit Jesus zu tun
hat. Und auch, was er in einem Brief an die Gemeinde in Korinth schreibt,
stammt nicht von Jesus: "Der natürliche Mensch vernimmt nichts vom Geist
Gottes" (2, 14), so Paulus, es müsse "geistlich beurteilt
werden". Damit spricht er wohl dem unverbildeten und teilweise kindlichen
Verstand der einfachen "natürlichen" Menschen die Möglichkeit der
Gotteserkenntnis z. B. in der Natur ab und er spricht diese Erkenntnis
stattdessen dem "geistlichen" Menschen zu. Später erklärt die Kirche,
aufbauend auf Paulus, dass man durch sie, die Kirche, den Geist Gottes
empfangen könne, und ihre Amtsträger lässt sie "Geistliche" nennen.
Jesus lehrte anders. Z.B.: "Wenn ihr nicht umkehrt und werdet wie die
Kinder, so werdet ihr nichts ins Himmelreich kommen." (Matthäus 18, 3)
Der Rom-"Virus"
Robert
Kehl schreibt in seinem Büchlein "Jesus, der größte Betrogene aller
Zeiten": "Etwas Schlimmeres konnte Jesus wohl nicht widerfahren, als
dass ein vollblütiger Pharisäer seine Sache in die Hand nehmen würde, auch wenn
er es gutgläubig tat" (S. 11). Paulus handelte also wohl in bester
Absicht, doch seine Aufgabe wäre es gewesen, sein Denken und Empfinden zuerst
von den kultischen, intellektuellen und pharisäischen Denkmustern und von den
herrschsüchtigen Traditionen der Römer zu befreien, bevor er als Lehrer durchs
Land zieht. Paulus tut es nicht.
Wie
in seiner römischen Umwelt üblich, wertet Paulus folglich auch die Frau ab,
obwohl sie bei Jesus als gleichwertig geachtet war. Sie soll in den
Versammlungen schweigen und zu Hause den Mann fragen (1. Korintherbrief 14,
33-35). Christus ist bei Paulus das Haupt nur des Mannes, "der Mann aber
ist das Haupt der Frau" (1. Korintherbrief 11, 3). Und: "Der Mann ...
ist Gottes Bild und Abglanz; die Frau aber ist das Mannes Abglanz" (V. 7).
Und weiter: "Der Mann ist nicht geschaffen um der Frau willen, sondern die
Frau um des Mannes willen" (V. 9).
Und
in seiner Staatslehre passt Paulus das Christentum vollends dem Imperium
Romanum an, indem er erklärt, dass der Christ der Obrigkeit dieser Welt gehorchen
müsse, da diese von Gott eingesetzt, angeordnet und "Gottes Dienerin"
sei, die mit dem Schwert auch ein gerechtes "Strafgericht" vollziehe
(Römerbrief 13) eine Lehre mit verheerender Wirkung in den folgenden fast 2000
Jahren. Jesus von Nazareth und die Apostel lehrten auch solches nicht. Bei ihnen
heißt es diplomatisch: "Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott,
was Gott gebührt" (Markus 12, 17). Oder für den Konfliktfall: "Man
muss Gott mehr gehorchen als den Menschen" (Apostelgeschichte 5, 29).
Zwar
gehen einzelne Fürsprecher von Paulus davon aus, dass die Stelle im Römerbrief
eine Fälschung bzw. Überarbeitung eines Paulus-Schülers ist, genauso wie seine
Anordnung im 1. Korintherbrief, dass die Frauen in der Gemeinde schweigen
sollen. Doch würde dies den Sachverhalt nur wenig ändern, nur die Gewichtungen
verschieben. "Paulus" als Person würde dann an diesen Stellen wieder
näher an Jesus herangerückt (was ihm persönlich zu wünschen wäre) zu Lasten des
überlieferten "Paulus". Doch selbst wenn Paulus als Person teilweise
Opfer seiner fälschenden Schüler wurde, so lassen sich nicht alle Widersprüche
und Unterschiede zu Jesus damit erklären. Zudem hält die theologische
Wissenschaft die Stelle im Römerbrief für authentisch, während die Authenzität
des Schweigegebots an die Frauen auch von dieser Seite angezweifelt wird. Diese
Problematik braucht hier allerdings nicht vertieft zu werden. Man kann
"Paulus" auch einfach so nehmen, wie er sich in den von ihm
verfassten Briefen in der Bibel darstellt und dabei eben bewusst offen lassen,
ob einige Sätze daraus auf das Konto seiner Nachfolger gehen (Siehe dazu auch
"Der Theologe Nr. 14 - Hieronymus und die Entstehung der Bibel").
Zurück
zur Staatslehre: Durch seine Anpassung an das römische System billigen Paulus
und seine Anhänger mehr oder weniger auch die Sklaverei (Brief an Philemon),
und in der Konsequenz dieser Lehre wohl auch den Kriegsdienst (aus Römerbrief
13) - die Kirche und ihre Theologen haben ihn jedenfalls immer so verstanden.
Den
Auftrag Israels, den Bund mit Gott zu erfüllen und Vorbild für alle Völker zu
werden (1. Mose 12, 3), sieht Paulus unwiderruflich als gescheitert an, und er
kehrt ihn einfach um. Die christlich werdenden Völker sollen jetzt Vorbild für
Israel sein. Durch Israels Fall "ist den Heiden das Heil widerfahren, damit
Israel ihnen nacheifern sollte" (Römerbrief 11,11).
Geplant
war auch das etwas anders: Zwar sollte auch den "Heiden" das Angebot
der Nachfolge offen stehen, so dass sich ein Volk aus vielen Völkern aufbaut, doch sollte die
Jerusalemer Urgemeinde die Keimzelle bleiben, von wo aus das Reich Gottes auf
Erden allmählich Gestalt annimmt. Und nach wie vor stand zuerst das Volk Israel
in der Pflicht des Bundes mit Gott. Von dieser Überlieferung grenzt sich Paulus
aber scharf ab ("Ich erachte es für Dreck", Philipperbrief 3, 8),
auch wenn er dabei vor allem deren Verfälschungen und Verirrungen im Blick
haben mag. Doch nicht einmal die Zehn Gebote stellt er mehr in den Mittelpunkt
seiner Lehre.
Zusammenfassend
kann man sagen: Mit seiner Abtrennung der jüdischen Wurzeln, mit der bequemen
Botschaft, dass der Glaube genüge und mit der Anlehnung an den totalitären
römischen Staat schafft Paulus die Voraussetzung dafür, dass das von ihm
gelehrte Christentum in kurzer Zeit zur Staats- und Volksreligion des Römischen
Weltreiches aufsteigen kann. Friedrich Nietzsche sagt es treffend, wenn er
Paulus als den "Erfinder der Christlichkeit" bezeichnet.
Und
im Jahr 70 n. Chr. wird Jerusalem nicht nur im Äußeren von römischen Truppen
erobert. Auch Jerusalem als geistiger Mittelpunkt des Urchristentums wird
allmählich abgelöst durch ein griechisch-römisches Christentum, das bald von
Rom aus seine Kreise zieht und das sich zu Unrecht auf Christus beruft. Denn es
handelt sich um die neue Religion, als dessen Religionsgründer Paulus angesehen
werden kann.
Teil 2: Die ersten Christen lebten vegetarisch, Wie
Paulus das Fleisch in das urchristliche Mahl einführte
Als
die ersten Christen zusammenkamen, um in der Gemeinschaft zu essen und zu
trinken, mussten keine Tiere dafür sterben. Denn Jesus von Nazareth hatte seine
Nachfolger über das Empfinden der Tiere aufgeklärt und ihnen aufgetragen, keine
Tiere zu schlachten. Auch Mose hielt es bereits so. Doch die Priester
verfälschten die durch Mose gegebenen Gottesoffenbarungen und führten einen Kult
mit grausamen Tieropfern in Israel ein. Die Priester Israels schlachteten
selbst und wachten darüber, welche Arten von Fleisch das Volk wann essen durfte
und welche nicht und wie alles zubereitet werden musste.
Nur
wenige Jahre nach seiner Zeit auf der Erde erging es Jesus ähnlich wie Mose.
Auch seine Botschaft wurde verfälscht, z. B. durch Saulus, der sich bald Paulus
nannte. Dieser wusste offenbar nichts von dem, was Jesus über die Tiere lehrte
und wie er auch diese Geschöpfe Gottes liebte. Paulus lehrt, dass ein Christ
alles, "was auf dem Fleischmarkt verkauft wird" (1. Korintherbrief
10, 25), essen kann. Und andere Schreiber des Neuen Testaments erzählen den
Gemeinden sogar von den "unvernünftigen Tieren, die von Natur aus nur dazu
da sind, dass man sie jagt und vernichtet". (2.Petrusbrief 2, 12)
"Das letzte Abendmahl", wie es Lucas Cranach
malte - Jesus, Judas, Luther, Melanchthon und protestantische Fürsten
verspeisen eine Ente (Gemälde in der Schloßkirche in Dessau)
Paulus
ist zwar Jude, erkennt aber die jüdischen Gebote und Gesetze, zu denen auch die
Speise-vorschriften gehören, nicht mehr als Heilsweg zu Gott an. Zwar seien sie
von Gott gegeben und "gut", doch könne sie niemand erfüllen, so
Paulus. Deshalb macht er sich frei davon und beruft sich dabei auf Christus.
Doch das tut er zu Unrecht. Denn Jesus hob nicht die von Gott gegebenen Gebote
auf (vgl. Matthäus 5, 17). Er korrigierte mit seinem "Ich aber sage
Euch" nur die Verfälschungen der Gebote, und er vertiefte vieles, was
bereits durch Mose und die anderen Propheten gegeben wurde. Dass z. B. die
Tiere "Übernächste" sind und Freunde des Menschen sein wollen, die
man nicht verspeisen soll, wie man in "apokryphen" Evangelien
außerhalb der Bibel auch nachlesen kann (Siehe Der
Theologe Nr. 7, Jesus und die ersten Christen waren Vegetarier). Oder dass auch
Tiere, wenn man sie quält und tötet, große Schmerzen erdulden müssen. Dies
spielt allerdings weder bei den jüdischen Vorschriften noch bei Paulus eine
Rolle.
Paulus
ist als Jude auch römischer Bürger und isst wie die meisten wohlhabenden
römischen Bürger bedenkenlos Fleisch. Dies wird auch für das Gemeinschaftsmahl
in den von ihm betreuten Gemeinden übernommen. Die ersten Christen treffen
sich, so weit möglich, meist abends zum gemeinsamen Abendessen oder in
besonders feierlicher Form zum Abendmahl.
Paulus streitet mit Petrus
Bei
einem Besuch von Petrus und anderen Abgesandten der Urgemeinde Jerusalem in
einer von Paulus gegründeten Gemeinde kommt es zum Konflikt. Die Jerusalemer
verweigern die Mahlgemeinschaft. Aus diesem Grund werden sie von Paulus zur
Rede gestellt und gescholten (Bibel, Galaterbrief 2). Den Hinweisen auf die
Autorität der Apostel begegnet Paulus selbstbewusst bzw. selbstherrlich mit den
Worten: "Von denen aber, die das Ansehen hatten - was sie früher gewesen
sind, daran liegt mir nichts; denn Gott achtet das Ansehen der Menschen
nicht." (2, 6)
Paulus
stellt den Konflikt so dar, als würden Petrus und seine Begleiter auf der
Einhaltung der jüdischen Speisevorschriften auch für nichtjüdische Nachfolger
von Jesus bestehen. Doch diese Darstellung muss angezweifelt werden, wenn man
die Berichte der apokryphen Schriften mit einbezieht (siehe oben)
Wahrscheinlicher ist demnach, dass sie überhaupt kein Fleisch essen wollten;
so, wie sie von Jesus aufgeklärt worden waren - noch dazu, wenn in diesem
Rahmen auch das Abendmahl gefeiert wurde, bei dem man sich bewusst macht, dass
Christus lebt und gegenwärtig ist. Das gemeinsame Einhalten der jüdischen
Speisevorschriften war vor diesem Hintergrund vielleicht ein
Kompromissvorschlag von Petrus und den anderen Jüngern an Paulus und dessen
Anhänger. Damit könnte einerseits Rücksicht auf jüdische Christen genommen werden und
andererseits dem ungezügelten Fleischkonsum Einhalt geboten werden.
Denn
nach den Speisevorschriften des Alten Testaments sind manche Tiere, wie z. B. Hase oder
Schwein, vor Schlachtungen geschützt. Und in dem jüdischen Gebot, keine
Blutprodukte zu essen, spiegelt sich immerhin noch ein Rest der Achtung vor anderen
Lebensformen, die Mose den Israeliten vermittelte. In diesem Sinne schreibt
auch die Apostelgeschichte im Neuen Testament, dass man "den Heiden, die
sich zu Gott bekehren" lediglich auferlegte, sich "von Götzendienst,
von Unzucht, von nicht ausgeblutetem Fleisch und von Blutgenuss"
(Apostelgeschichte 15, 5) zu enthalten.
Doch
Paulus hielt - gelinde gesagt - nicht mehr viel von dieser Überlieferung (dem
"Dreck" nach Philipper 3, 8) und war innerlich ganz der
"aufgeklärte" und selbstbewusste Römer. Und so verhält er sich im
Verlauf der Auseinandersetzung als geschickter Diplomat und nicht als einer,
der sich selbst einmal infrage stellen lässt. Dabei betrachtet er es als
Fortschritt im Sinne der von ihm neu gelehrten "Freiheit", dass man
gar nicht zu wissen braucht, ob das beim Mahl aufgetragene Fleisch zuvor bei
Kulthandlungen heidnischen Göttern geweiht wurde. Er greift erst ein, nachdem
einige Gemeindeglieder vor dem Abendmahl auch an Kult-Mahlen anderer
Religionsgemeinschaften teilgenommen haben, und er erklärt schließlich die
Unvereinbarkeit beider Tischgemeinschaften. Immerhin ist er selbst bereit, auf
Fleisch beim Mahl zu verzichten - allerdings nicht der Tiere wegen, sondern aus
"Rücksicht" auf die in seinen Augen im Glauben "schwachen"
Vegetarier bzw. aus Rücksicht auf diejenigen "Schwachen im Glauben",
die Skrupel vor dem Verzehr von Fleisch hatten, wenn dies zuvor durch die Hände
heidnischer Priester gegangen ist. Beide Motive für den Fleischverzicht, das
kultische Motiv oder das tierfreundliche, wird es gegeben haben. Ist von diesen
Seiten jedoch kein Ärger zu erwarten, spricht aus der Sicht von Paulus nichts
gegen das Fleischmahl.
Paulus
setzt sich mit seinem Kurs durch, und seine Handschrift und die seiner Schüler
durchzieht bald das ganze Neue Testament. Der Paulusschüler Lukas setzt in
seiner Apostelgeschichte ebenfalls den Apostel Petrus ins Unrecht und schiebt
ihm eine angebliche Gottesvision unter, in der es heißt: "Steh auf,
Petrus, schlachte und iss" (10, 13)! Und nachdem sich Petrus erst gewehrt
haben soll, habe die Stimme angeblich gesagt: "Was Gott rein gemacht hat,
das nenne du nicht verboten" (10, 15). Angeblich hatte Petrus also
kultische Bedenken vor dem Schlachten und Essen bestimmter Tiere.
Außerbiblischen Quellen zufolge waren es aber wohl eher ethische Bedenken
zugunsten der Tiere. Möglicherweise war es auch beides. Eine Wahrheit
("Die jüdischen Kultvorschriften sind keine Gebote Gottes") wird in
dieser Vision schließlich mit einer Unwahrheit verknüpft ("Gott habe dem
Menschen die Tiere zum Schlachten anvertraut") - ein Gemisch, auf das sich
die Kirchen bis heute berufen.
Der
nächste Schritt in diese Richtung ist im 1. Timotheusbrief der Bibel
dokumentiert, den wahrscheinlich ein Paulusschüler verfasst hat. Dort ist von
Verführern die Rede, die gebieten, "Speisen zu meiden, die Gott geschaffen
hat, dass sie mit Danksagung empfangen werden von den Gläubigen und denen, die
die Wahrheit erkennen [damit ist wahrscheinlich das Essen von Fleisch gemeint].
Denn alles, was Gott geschaffen hat, ist gut, und nichts ist verwerflich, was
mit Danksagung empfangen wird; denn es wird geheiligt durch das Wort Gottes und
Gebet" (4, 1-5). Diese Bibelstelle wird heute von den Kirchen bevorzugt
zur Rechtfertigung des Fleischkonsums zitiert. Doch könnte ein Kannibale damit
theoretisch genauso den Verzehr von Menschenfleisch rechtfertigen, wenn man das
Tischgebet zuvor nicht vergisst.
Fleisch für die Theologen
Andersdenkende
werden im 1. Timotheusbrief der "teuflischen Lügenreden" bezichtigt.
Eine verhängnisvolle Auseinandersetzung nimmt ihren Lauf. Die ursprünglichen
Paulus-gemeinden verfestigen sich, und einige Generationen später entsteht
daraus eine Staatskirche, die Abweichler in der Folgezeit immer häufiger
hinrichten lässt - so wie man Generationen zuvor das Schwein, das Schaf und den
Ochsen töten ließ.
Während
in der heutigen Gesellschaft das Gespür für das Leiden der Tiere wächst und
sich viele Menschen für das Ende der Massentierhaltungen, der grausamen
Tierversuche, der Tiertransporte, der Schlachtungen und der Jagd einsetzen,
halten sich die Kirchenführer weiter an Paulus.
Auch
bei der gemeinsamen Unterzeichnung der "Rechtfertigungslehre"
("Allein der Glaube macht gerecht vor Gott") am 31.10.1999 in
Augsburg wieder das typische Bild: Es fährt ein LKW einer Metzgerei vor, voll
mit Fleisch und Wurst, um die Amtsträger aus dem Vatikan und vom Lutherischen
Weltbund nach der Zeremonie zu verköstigen
- frei nach Paulus: "Alles, was auf
dem Fleischmarkt verkauft wird, das esst, und forscht nicht nach, damit ihr das
Gewissen nicht beschwert." So halten sie es seit nunmehr fast 2000 Jahren.
Doch:
Immer mehr Menschen wenden sich vom Schlachten und Verzehren der Tiere ab. Sie
sehen die Erde als ein Ganzes, als ihre Ernährerin, als einen Teil ihres
eigenen Lebens. Sie ernähren sich von dem, was die Erde Menschen und Tieren
bereitwillig schenkt, so wie es von Anfang an der Schöpfung geplant war (1.
Mose 1, 29-31), und sie bereiten es auch entsprechend sorgsam zu, so wie es
Jesus von Nazareth seinen Nachfolgern lehrte.
Ausführlichere
Darlegungen zu diesem Thema in: Der Theologe Nr. 7 - Jesus und die ersten
Christen waren Vegetarier.
Teil 3. Paulus im Zwielicht - bescheidener Diener oder
selbstherrlicher Theologe ?
Erst an seinem Lebensende hat
er verstanden, was Jesus wollte
Der
Hinduist Mahatma Gandhi, gewaltfreier Vorkämpfer für die Unabhängigkeit
Indiens, war von der Lehre des Jesus fasziniert, die Lehre des Paulus lehnte er
ab. Ob Gandhi auch geahnt hat, was Jesus mit dem Wort meinte “Mein Reich ist
nicht von dieser Welt”, als er immer mehr in die gewaltsamen politischen
Verstrickungen des indischen Unabhängigkeitskampfes hinein geriet? Was steht
hierzu in den Briefen von Paulus? Paulus bzw. seine Schüler sind deutlich von
Jesus abgerückt, wenn sie der Diktatur des Imperium Romanum wie jedem anderen
Staat auch zubilligen, das “Schwert Gottes” zu führen, und wenn dem Untertan
Gehorsam geboten wird (Römerbrief 13, 1.4). Das hat Jesus sicher nicht gemeint,
als er erklärte: “Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes
ist.” Diesen und weitere Unterschiede zu Jesus hat auch der Wissenschaftler Dr.
Robert Kehl im Blick, wenn er sagt, eine “zweite Geburt des Christentums” sei
nötig durch die Befreiung von unchristlichen Gedanken und Lehren des Paulus.
Saulus
aus Tarsus, später Paulus genannt, stammt aus einer wohl situierten
Gelehrtenfamilie in Tarsus / Kleinasien, der heutigen Türkei, die das römische
Bürgerrecht besaß. Als Mitglied der streng-religiösen jüdischen Bewegung der
Pharisäer hatte er möglicherweise auch “vorteilhafte” Beziehungen zum Hof des
Herodes in Jerusalem und zum Gefolge Neros in Rom (vgl. Eisenmann, Jakobus, S.
788 f.). Sein Wissen über Jesus stammt vor allem aus seiner Zeit als
“Sektenbeauftragter” der Pharisäer, als er die Urgemeinde in Jerusalem
beobachtete und verfolgte. Denn auch nach seiner Umkehr blieb er immer in einer
bestimmten Distanz zu den Aposteln und Jüngern von Jesus, die ihm vieles über
den Mann aus Nazareth hätten sagen können, das Paulus nicht wusste und ihn auch
leider nicht besonders interessierte.
Paulus
geht von Anfang an seinen eigenen Weg - was bald zu erheblichen Unstimmigkeiten
im Urchristentum führt. Der Mann aus Tarsus reklamiert für sich den direkten
Kontakt zu Gott und beruft sich auf eigene Offenbarungen.
Wer redet hier in fremden “Zungen”?
In
einigen von Paulus gegründeten Gemeinden verbreitet sich bei manchen
Gemeindegliedern bald das Phänomen des “Zungenredens”, angeblichen
prophetischen Offenbarungen des Gottesgeistes in Fremdsprachen, die zur “Erbauung”
der Gemeinde von einem anderen Gemeindeglied ausgelegt werden (1.
Korintherbrief 12, 10). Sowohl "Prophet" als auch Ausleger sind
ansonsten dieser Fremdsprache nicht mächtig. Jesus und seine Jünger
praktizierten solches nicht, doch das Phänomen war in der heidnischen Umwelt
verbreitet. Parapsychologischen Untersuchungen zufolge handelt es sich dabei um
Einsprachen von Seelen aus dem Jenseits, die sich der Gehirnzellen von Menschen
und auch deren Kraft bedienen, so dass es bei diesen langfristig sogar zu
Depressionen kommen kann. Die Qualität bzw. der Wahrheitsgehalt dieser
Einsprachen ist dabei völlig ungewiss. So können sich diese Seelen durch ihre
Einsprachen wichtig machen oder sie können den Menschen sogar
"foppen", indem sie sich als "Christus" oder andere
Persönlichkeiten ausgeben. Um dieses okkulte Phänomen zu durchschauen und den
falschen Christus dahinter zu erkennen, hätte es allerdings der schrittweisen
Läuterung des Einzelnen nach dem Maßstab der Bergpredigt bedurft. Doch Paulus
und so mancher andere seiner Mitstreiter erfreute sich lieber an den medialen
"Erfolgserlebnissen" anstatt sich z. B. von herrschsüchtigen
Vorstellungen und Gedanken befreien zu lassen. Und so sind diese mit in die
christliche Botschaft eingeflossen. Dementsprechend ist das Verhalten von
Paulus. Er tritt mit großem Selbstbewusstsein auf und fordert dazu auf, seinem
“Beispiel” zu folgen (z. B. 1. Korintherbrief 11, 1).
“Ich sollte gelobt werden”
Geschickt
kokettiert er mit der Demut und weist auf seine “Schwachheit” hin, um dann an
anderer Stelle zu sagen: “Ich sollte von euch gelobt werden” oder: “Wenn ich
mich rühmen wollte, wäre ich nicht töricht, denn ich würde die Wahrheit sagen.
Ich enthalte mich aber dessen, damit nicht jemand mich höher achte, als er an
mir sieht oder von mir hört” (2. Korintherbrief 12, 5-6). Ist dies echte Demut?
Oder ist es nur die Brillanz eines Intellekts - von einem Menschen, der weiß,
dass er eigentlich demütig sein sollte. Ein “schlechter Redner” sei er, doch
was laut der Apostelgeschichte der jüdische König Agrippa über Paulus sagt,
dürfte der Wahrheit näher kommen: “Es fehlt nicht viel, so wirst du mich noch
überreden und einen Christen aus mir machen” (26, 28). Paulus setzt sofort nach
und ergänzt: “... nicht allein du, sondern alle, die mich heute hören” sollten
das werden, “was ich bin”. Dabei gibt Paulus immer vor, den Willen Gottes zu
erfüllen und alles Christus zu Ehren zu tun. Er kennt die christliche
Theorie hier gut. Doch hat er sie auch in seinem Unterbewusstsein verinnerlicht?
Oder ist er dort immer noch der alte "Saulus"?
Der Historiker Karlheinz
Deschner kommt nach dem Studium der Paulusschriften zu einem wenig
schmeichelhaften Ergebnis: Paulus “duldete keine selbständig denkende Menschen
um sich”. Und der Theologe Riciotti führt aus: “Apollos, der Denker mit den
originellen Ideen, bleibt nicht lange, ebenso wenig wie der gereifte Barnabas”
(nach Deschner, Abermals krähte der Hahn,
“Verflucht sei der falsche Bruder!”
Sein
Umgang mit den Aposteln und Jüngern, den Paulus in der Bibel selbst beschreibt,
stützt diese Deutung. Während Paulus zur brüderlichen Zucht an anderen
auffordert, entzieht er sich selbst geschickt der Korrektur durch die
Gemeinschaft. Damit bleibt er im Grunde ein Einzelgänger und in seinem
Charakter zu einem großen Teil der alte. Paulus ist sich seiner Sache dabei so
sicher, dass er Andersdenkende in der Gemeinde ohne Skrupel als “falsche
Brüder” bezeichnet und sich sogar dazu hinreißen lässt, Kritikern seiner Linie
mit den Worten zu kontern “der sei verflucht” (Galaterbrief 1, 8). Dieser Satz
wird in späteren Jahrhunderten bei den Verdammungsurteilen der kirchlichen
Inquisition zur Standardaussage. Paulus scheut sich auch nicht, “Unzüchtige”
dem “Satan” zu übergeben “zum Verderben des Fleisches, damit der Geist gerettet
werde am Tag des Herrn” (1. Korintherbrief 5, 5). Bereitwillig haben die
kirchlichen Inquisitoren späterer Jahrhunderte auf diesen Aussagen aufgebaut
und damit die Hinrichtungen von Andersgläubigen begründet - mit dem ebenfalls
von Paulus abgeleiteten Nachsatz, dass auf diese Weise vielleicht deren Seele
gerettet werden könne.
Die Spuren verlieren sich
Dass sich die
Paulusgemeinden im damaligen römischen Weltreich durchsetzen, während die
Urgemeinde in Jerusalem bald in der Versenkung verschwindet, hat aber nicht nur
mit dem Durchsetzungswillen und dem starken menschlichen Ego des Paulus zu tun,
sondern auch mit den finanziellen Möglichkeiten. Paulus ist bestrebt, es trotz
aller Unterschiede nicht zum Bruch mit der Urgemeinde in Jerusalem kommen zu lassen.
So lässt er als Zeichen seiner Unterstützung, mehrfach Geld für die Urgemeinde
sammeln und er setzt sich für diesen Dienst an den “Heiligen” sehr ein, was ihm
zu-gute gehalten werden kann. Den äußeren Niedergang der Jerusalemer haben
diese Finanzspritzen aber nicht aufhalten können. Nur wenig ist darüber
bekannt, was im Einzelnen zu diesem Niedergang führte und was genau in
Jerusalem in diesen und den kommenden Jahren geschieht. Auf jeden Fall hat es
aber dazu beigetragen, dass sich im Imperium Romanum überwiegend ein
Christentum nach den Vorstellungen von Paulus entwickelt. Nach Pella im
heutigen Jordanien sei die Gemeinde ausgewandert, als sich die Urchristen nicht am
jüdischen Aufstand gegen Rom in den 60er-Jahren beteiligen wollten. So ist es überliefert. Dort
im Jordanland verliert sich dann ihre Spur, und sie findet sich erst wieder in
den ersten “Ketzerberichten”, welche im 2. Jahrhundert in der so genannten
“frühkatholischen” Kirche kursieren, die sich aus den Paulusgemeinden heraus
entwickelt. Es gebe da z. B. einige Irrlehrer, die einen Sühneopfertod von
Jesus, wie er von Paulus verkündigt wird, leugnen; die auch die Lehre von der
Heilsbedeutung des Blutes leugnen sowie die Erbsünde und die Jungfrauengeburt.
Diese "Ketzer" und "Irrlehrer", da sind sie also wieder,
die verstreuten getreuen Nachfolger von Jesus. Doch auch die Spur des Paulus
verliert sich. Es heißt, er wäre bei der Christenverfolgung in Rom unter Kaiser
Nero ums Leben gekommen, was vermutlich stimmt.
Paulus wird getröstet
Aus
einer Neuoffenbarung der Gegenwart stammt der bemerkenswerte Hinweis, dass
Paulus in späterer Zeit seine Fehler erkennt und in den letzten Lebensjahren
zum treuen Streiter und Werkzeug für Christus wird (Heimholungswerk Jesu
Christi, Linz/Österreich, 9.11.1980). Vorausgesetzt, die Prophetie ist richtig,
hätte Paulus aber nicht mehr verhindern können, dass vieles, was er einst
niedergeschrieben hatte, weiter als seine Lehrüberzeugung verbreitet wird.
Während Paulus in Rom von der Obrigkeit, deren "gehorsamer Untertan"
man laut seines Briefs an die Römer sein soll (13, 1), verfolgt und schließlich
ermordet wird, wachsen die falschen Samen, die er gesät hatte, an zahlreichen
Orten des Imperium Romanum zur Institution Kirche heran.
Ca.
250 Jahre später sondert die mittlerweile zur alleinigen Staatsreligion
aufsteigende Institution Kirche alle Schriften der Paulusgegner aus
(Enteignungen von Urchristen zugunsten der Kirche ab 326 unter Kaiser
Konstantin; alleinige Staatsreligion der Kirche und Hinrichtung von Andersdenkenden
ab 380 unter Kaiser Theodosius I.). Die Paulusschriften hingegen, die der Mann
aus Tarsus demnach nicht mehr korrigieren konnte, werden in die Bibel
aufgenommen und ausnahmslos zum "Wort Gottes" erklärt. Dabei ist -
wie oben bereits angedeutet - nachgewiesen, dass man dem gefeierten
"Apostel" manches unterschiebt. So sind die meisten Theologen und
Religionswissenschaftler heute davon überzeugt, dass einige Paulusbriefe in der
Bibel gar nicht von Paulus, sondern von seinen Schülern geschrieben worden sind
(die beiden Briefe an Timotheus, der Brief an Titus, der Brief an die Epheser,
der Brief an die Kolosser und der 2. Brief an die Thessalonicher).
Möglicherweise werden auch Korrekturen, die Paulus selbst noch vorgenommen
hatte, bewusst ignoriert. Doch kurz vor seinem Tod wird Paulus - dem oben
zitierten und in sich stimmigen Text zufolge - von Christus getröstet, dass die
Zeit kommen wird, in der seine Irrtümer richtig gestellt werden. Dies wäre auch
ein hoffnungsvoller Abschluss eines Lebens, das wie selten ein anderes die
Geschichte und ihre Epochen geprägt hat ...